Kolumne: Sarajevo – one week.

Liebesbriefe von Alice.
„Der Wocherückblick über Themen, die Alice bewegten.
Immer in Verbindung mit Liebe.“

„Lieber Freund,

als ich gestern die Menschen um mich herum betrachtete, wurde mir wieder einmal deutlich bewusst, dass es gar nicht genug Liebe auf der Welt geben kann. Ich kann nicht gänzlich die Augen vor den Spuren verschließen, die aus den Ereignissen in diesem Land vor mehr als 20 Jahren hervorgegangen sind. Unübersehbar spiegeln sie sich nach wie vor in vielen Häuserfassaden und so manchem Gesicht, das mir begegnet, wieder und machen mir deutlich, dass dann die vielen kleinen Momente, in denen mir ein Lächeln geschenkt wird oder ich die kleinen Dinge entdecke, die die Schönheit des Augenblicks wiedergeben, umsomehr an Beachtung gewinnen. Jetzt gerade wünsche ich mir, dass die Menschheit erkennt wie lange es manchmal braucht bis entstandene Wunden friedvoll verheilt sind und welche Wunder dann die Liebe vollbringen kann, die doch jedem einzelnen in die Wiege gelegt wurde. Sie ist das Band, das uns alle eint und Fremde zu Liebenden werden lässt. Dies sollte niemals vergessen werden.

Doch nun entführe ich Dich ins Licht und zu den Anfängen dieser Woche, die für mich mit meiner Ankunft in dieser Stadt beginnt, die auch auf glanzvolle Zeiten zurückblicken darf und deren Bewohnern ich für die Zukunft nur das Beste wünsche.

Mit einer herzlichen Umarmung in Empfang genommen und nach meinen Wünschen befragt, präsentierte mir die sportliche Dame an meiner Seite die ersten Eindrücke Sarajevos, die sie als ihre Geburtsstadt bezeichnen kann. So erhielt ich Einblicke in den ältesten Teil der Stadt, aus dem diese erwachsen ist, begleitet von mancher historischer Hintergrunderzählung der Dame, die auch offenbarte weshalb Orient und Okzident hier aufeinandertrafen. Kunstvolles Silber- und Messing-Handwerk wurde in den Gassen feilgeboten, ein Platz mit Pavillion und riesigem Baum sowie zahlreichen gefiederten Freunden, die dem Vergleich auf dem Markusplatz in Venedig sicher standhielten, zeigte sich in meinem Blickfeld, genauso wie erste kulinarische Ausflüge sowie Café-Einsichten. Mit einem Augenzwinkern muss ich an dieser Stelle bemerken, dass eine nichtrauchende Vegetarierin, die keinen Alkohol trinkt, vielleicht für den ein oder anderen hier eine echte Herausforderung darstellt. Oder etwa umgekehrt? Nun ja, Akzeptanz hat sicherlich an dieser Stelle die oberste Priorität. Nach dieser ersten Vielfalt öffnete die Dame schließlich zum ersten Mal für mich die Türen zu ihren heimischen vier Wänden, in denen ich zunächst von ihr und einem weißen, vierbeinigen Mitbewohner willkommen geheißen wurde, der seither so manches Mal schnurrend Zeit an meiner Seite verbringt. Dann wurde erst einmal Ruhezeit eingeläutet, die sich neben alltäglichen Erledigungen am nächsten Tag, einer kurzen Geburtstagsauszeit mit Buchgeschenk sowie einem kleinen Lernausflug in die heimische Sprache, zum zweiten Mal mit viel Schlaf verband.

Nachdem ich den Donnerstag Vormittag damit verbrachte meine Zeilen des vorangegangenen Briefes an Dich zu verfassen, begab ich mich am Nachmittag alleine auf Entdeckungsreise in die Stadt. So folgte ich dem Fluss und meiner Neugierde, die mich auch in Gassen und Hinterhöfe blicken ließ, in denen ich unter anderem Hinweise zu deutschen Architekten fand, die ihre Spuren hinterlassen hatten. Vorbei an der imposanten, neu errichteten National-Bibliothek, Kirchen und Moscheen und der bekannten Lateinerbrücke, die für einen Erzherzog allerdings einst keine glücklichen Umstände bot, zog es mich schließlich auf einen der umliegenden Hügel der Stadt. Diese bilden die Vorhut auf dahinterliegende Berge, auf denen der Schnee in Fülle zu finden ist, auf den ich mich so sehr freute. Doch dies sollte noch auf sich warten und so erfreute ich mich an dem Ausblick von einer ehemaligen Festungsanlage, nachdem ich aufgrund des ungewohnten Anstiegs wieder Luft holen konnte. Die Stadt lag zu meinen Füßen und in einem angrenzenden Café bekam ich zum fulminaten Panoramablick noch einen Latte Macchiato gereicht und beendete so mit besten Aussichten die Zeilen Deines Briefes von letzter Woche. Mit hereinbrechender Dunkelheit trat ich dann den Rückweg an, auf dem ich noch kurz in die älteste Kirche der Stadt einkehrte, die goldglänzendes, einen blauen Sternenhimmel und hübsche, schneebedeckte Ansichten im Innenhof offenbarte. Beschenkt wurde ich schließlich noch mit einer neonleuchtenden Schrift, als ich durch das Fenster einer Bar schaute und die die folgenden Worte preisgab: „all you need is love“.

Nach ein paar Sonnenansichten am Morgen darauf, brachte mir meine Gastgeberin mit töchterlichem Nachwuchs ihre Café-Welt nahe. So lernte ich den Besitzer eines Cafés kennen, das ganz im Zeichen eines kubanischen Revolutionshelden steht. „Che“ ist hier nicht nur der Name, sondern auch das Programm und so erblickte ich den Herrn in jeder Richtung, die sich mir bot. Auf dem Weg zum nächsten Ort, der eher an einen alten Schiffskahn im Hafen an einem Meer erinnerte und dessen Name so gar nicht schiffsgleich mit der Übersetzung „Esel“ daherkam, riss der Umhängegurt meiner Tasche. Sofort führte mich die Dame zu einem ihr bekannten Herrn, der sattlerische Fähigkeiten und eine Nähmaschine inklusive Familienbetrieb besitzt. Sein einige Jahre währender Aufenthalt in jüngeren Jahren in Düsseldorf hatte ihm eine ausgezeichnete Sprachkenntnis beschert und so war es nun ein leichtes ein wenig Gedankenaustausch zu betreiben und so auch von seiner Leseleidenschaft zu erfahren. Er bat uns dann eine Stunde später wiederzukommen, um in Ruhe und gewissenhaft die notwendige Reparatur durchführen zu können und so nutzten wir die Zeit im besagten „Esel“ mit Rettungsring und „Welcome Aboard“, um einen zweiten Kaffee zu uns zu nehmen. Nach unserer Rückkehr und meiner Frage nach seinem Lohn, winkte der Herr freundlich ab und ließ die Worte verlauten: „Ich möchte nur, dass dein Aufenthalt in guter Erinnerung bleibt.“ Damit zauberte er ein Lächeln auf mein Gesicht und nach meinem Dank für dieses Geschenk, kann ich ihm nun Hier und Jetzt versprechen, dass seine Worte mich auf dieser Reise oft begleiten und auch meinen Blick für das Schöne erhellen.

Der Samstag begann ruhig, da noch alle um mich herum im Schlaf versunken waren. Bis auf den Kater, den ich dabei beobachtete wie er erfolgreich Beute machte und mit dem gelben Spüllappen aus der Küche verschwand. Dies brachte mich zum Schmunzeln und ein Blick auf ein paar Zeilen meines Buches, ließ mich das Wesentliche in mein Bewusstsein rücken: der Augenblick und der Neubeginn eines Tages, der Vergangenes in Frieden ruhen und sich von dem Zukünftigen wohlwollend überraschen lässt. In jedem Fall versprach die Sonne schon einmal strahlende Aussichten und die gastgebende Dame einen Ausflug in die Berge, der mein Herz zum Tanzen brachte. Es sollte zwar nicht der höchste werden, allerdings schmälerte dies in keinster Weise meine Freude darauf und so begaben wir uns zu dritt vor die Haustür, an der wir zunächst ausgebremst wurden. Nachbarschaftliche Bekanntschaften wollten gepflegt werden und unversehens kam auch ich in den Genuss eines Gesprächs, da der eine betagte Herr aus dem Erdgeschoss über drei Jahrzehnte seines Lebens in Frankfurt verbracht hatte und somit keine sprachlichen Barrieren vor uns lagen. Mit Dank für den Gedankenaustausch verabschiedeten wir uns dann doch recht bald und nahmen Fahrt zum Berg mit winterlichen Aussichten auf. Diesbezüglich wurde ich dann auch bestens beschenkt, als sich meterhohe Tannen und schneebedeckter Boden zeigten. Nachdem wir zunächst in einem architektonisch interessanten Bauwerk unseren Kaffee-Durst gestillt hatten, hielt mich nichts mehr davon ab vom Weg abzukommen und durch den Schnee, Wald und eine beeiste Lichtung zu stapfen. Dies tat ich dem Großvater und seinem Enkel gleich, die vor mir die Gegend erkundeten und bald schon hinter mir aus meinem Gesichtsfeld verschwanden. Gelernt habe ich dann, dass man nicht wissen kann was sich unter der Schneedecke befindet oder gar wie tief sie ist und diese Erkenntnis mir einen schneebedeckten Hosenboden bescherte.

In einer uhrigen Waldhütte nahmen wir dann ein Mahl zu uns, das bodenständig daherkam und vor meinem geistigen Augen eine Bauernfamilie in alten Zeiten erscheinen ließ, die um einen Top Grießbrei herumsaß und einer nach dem anderen daraus löffelte. Der Rückweg beschied uns dann noch eine fantastische Sicht auf die Stadt von oben und mir eine fotografische Momentaufnahme im Gegenlicht mit Tannenwipfeln, viel Himmel und Bergpanorama im Hintergrund.

Schnee, Schnee, Schnee – soweit das Auge blicken kann und ich mittendrin. Kannst Du Dir das vorstellen? Am Sonntag erfüllte sich gänzlich mein Traum vom „Winter Wonderland“ und ließ mich zum ersten Mal Berggipfel erstürmen, Panorama-Blicke von ganz oben genießen und windschnittige Eiskristalle bestaunen. Der Morgen ließ bereits erahnen, dass sich ein großartiger Tag anbahnen würde, da ein Herz sichtbar wurde, wo ich es nicht erwartet hätte. Begleitet von Tochter und sportlicher Mutter machten wir uns schließlich auf den Weg in die Berge, die Skifahrer-Herzen höher schlagen lassen und einst sogar zu olympischen Gold einluden. Bevor es zum Gipfel hoch ging gönnten wir uns noch einen Kaffee im mondänen Hotel-Restaurant direkt an der Piste, von dem aus ich schon erste Eindrücke sammelte und meine Vorfreude anstieg. Schließlich reihten wir uns in die Schlange der Wartenden vor dem Lift ein, die allesamt lange Bretter unter ihren Schuhen trugen. Eine Beugung der Knie, ein Plumps auf den Sitz und schon baumelten meine Beine in luftiger Höhe, unter mir der weiße Puder, der mit einem oder zwei Brettern zahlreich befahren wurde. Mit staunendem Blick über die Aussichten wurde einige Minuten später ein kleiner Sprung nach vorne erforderlich und schon befand ich mich im schneebedecktem Gipfelreich, dem Himmel ganz nah. Himmlich fühlte es sich in der Tat an sich einmal um die eigene Achse zu drehen und dabei in allen vier Himmelsrichtungen die Erde bis zum Horizont zu bestaunen. Eisiger Wind aus einer Richtung veranlasste mich Mütze, Schal und Kapuze tief ins Gesicht zu ziehen und vor azurblauem Firmament eine futuristisch anmutende, verwaiste und vereiste Seilbahnanlage zu bewundern. Auf dem Weg zurück ließen sich Tochter und Mutter der Länge nach in den Schnee fallen und nachdem sie sich wieder erhoben, hinterließ die eine einen Schnee-Engel am Boden. Nach der Fahrt hinunter, die auch den Blick auf eine Berghütte mit befüllter Terrasse freigab, kehrten wir ebenfalls in eine solcher Art ein. Sonnenbetankt wollten schließlich die Bäuche befüllt werden, die hungrig von den Unternehmungen und der frischen Bergluft knurrten. Über 9.000 Schritte legte ich an diesem Tag zurück, der mir die wunderschönen Seiten der Berge und des Winters nahe brachte. Dankbar schaue ich darauf zurück.

Gleich zwei Mal begegnete ich dann meiner Glückszahl in den vergangenen zwei Tagen – zum einem ruhe ich des Nachts mit einer unter mir und zum anderen wies die Zweite mich auf einen Namen hin, mit dem ich familiär verbunden bin und dessen Träger dem Himmel so nah ist. Eine schöne Erinnerung. Meine weiße, gefiederte Freundin, die für den Frieden und die Liebe steht, brachte mich malerisch und gleich in doppelter Ausführung zum Lächeln und auf den Wegen durch die Stadt erfreute mich das Gezwitscher zahlreicher, fliegender Winzlinge, die gerade einen Baum bevölkerten. Mit diesen Eindrücken enden langsam für heute meine Zeilen an Dich. Ich freue mich auf kommende Aussichten inklusive dem berühmten Valentinstag nächste Woche. Er erwartet mich schon auf Wolke 7 und empfängt mich in jedem Fall mit einem gedruckten Werk meines zuerst verfassten Buches „Kannst Du lieben?„, das heute in Düsseldorf eintraf. Ich wünsche Dir eine glückliche Zeit und himmliches nächsten Dienstag.

In Liebe,

Alice

PS:

„Almost everywhere is a heart, you only have to open yours.“

Über Alice Zumbé

Wer bin ich? Meine immer währende Neugierde auf Menschen aller Art gab schnell den Weg zur Portraitmalerei frei. Jedoch auch andere Facetten meines Lebens führten zu zahlreichen Interessensgebieten. Immer mit dem Blick was draussen passiert - sowohl im Detail als auch im großen Ganzen. Es bleibt spannend in der Welt.
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