
„Lieber Freund,
wie begegnet man eigentlich der geballten Kraft der Schattengefühle anderer? Im Moment, der kein Ausweichen zuließ, gelang es mir rein äußerlich betrachtet die Ruhe zu bewahren. In mir tobte jedoch ein Orkan, der das Blut in Wallung brachte und den Puls nach oben trieb. Warm wurde mir, doch ich blieb mir treu in dem Bewusstsein, dass kein Orkan der Welt in der Situation hilfreich gewesen wäre und so fragte ich, was ich nicht verstand, bezog das Gesagte nicht auf mein persönliches Leben und vertrat die Ansichten und Möglichkeiten, die das Leben bietet, um die Welt ein Stück besser zu machen. Mit etwas Abstand lautete dann später mein Rezept „2 mal Pasta um Mitternacht plus einmal über alles schlafen“ und während ich die wohlschmeckenden Spaghetti verspeiste, machte ich noch die Bekanntschaft mit Sebastiao Salgado, der mich sehr berührte. Genauer betrachtet verfolgte ich das letzte Drittel einer Dokumentation, die sein Sohn und ein bekannter Regisseur gedreht hatten und die seinen Lebensweg nachzeichnete, der ihm die Fotografie gewiesen hatte. So konnte ich auch den Erzählungen Sebastiaos zu seinen Reisen nach Ruanda in den 1990er Jahren folgen, dem Land, in dem viele, viele Jahre ein Bürgerkrieg ausgetragen wurde. 1997 reiste er ein letztes Mal in dieses Land und begleitete einige Tage lang 250.000 flüchtende Menschen, die manches Mal für ein halbes Jahr einfach im kongolesischen Wald verschwunden waren und von denen schließlich noch 40.000 Menschen überlebten. Was er sah, traf ihn tief und mit kranker Seele verließ er wieder dieses Land. Er hatte den Glauben an die Menschheit verloren und die Frage, die sich daraus für ihn ergab, war die nach dem weiteren Sinn des Lebens. Was sollte nach Ruanda noch folgen? Wie sollte er noch weitermachen?
Und was ist es, das hilft, wenn ein Mensch derart Verzweiflung und Hilflosigkeit in sich verspürt? Im besten Fall ist es ein Wunder. Für Sebastiao trägt das Wunder den Namen Instituto Terra. Nach seiner Rückreise an den brasilianischen Ort seiner Kindheit, auf dem seine Familie eine Farm besaß, hatte seine Frau Lélia die fantastische Idee den „Mata Atlantica“, den atlantischen Regenwald, der schon lange nicht mehr existierte, wieder aufzuforsten. Ein Ansinnen, dass noch nie ein Mensch zuvor gewagt hatte. 600 Hektar gerodetes Land, eine Portion Mut und Hoffnung und zwei Millionen neu gepflanzte Bäume führten schließlich zu einem völlig regenerierten Ökosystem, das Sebastiao auch dazu ermutigte seine Berufung als Fotograf neu zu verstehen und auszuüben. Seine Äußerung zu den gerade gesprießten Setzlingen „…sie sind gerade aufgewacht wie Alice im Wunderland.“ brachte mich dann noch zum Schmunzeln und Staunen und riefen vor allem ein wohlbekanntes Wort hervor: spooky.
„Umkehrbar“ ist das Wort, das Sebastiao unter anderem im Film verwendete und das für mich die Essenz des Gesehenen darstellt. Es ist das „Zauberwort“, das überall Einsatz findet, wenn es gilt etwas besser zu machen, Verhalten zu verändern oder die Sicht auf die Dinge umzulenken. Jeden Tag erhalten wir erneut die Gelegenheit dazu, die uns befähigt aus Hass Liebe entstehen zu lassen, aus Missgunst Mitgefühl zu entwickeln, aus Wut Energie für hilfreiches zu gewinnen oder aus der Ödnis einen Regenwald ins Leben zurückzurufen. Es ist eine Maxime, die mich nun bewusst begleitet, der ich treu sein möchte und ich mir wünsche, dass ich mich zur rechten Zeit an sie erinnere. Doch nun schaue ich mit Dir noch auf die anderen Erlebnisse der letzten Tage zurück, die eher leise Töne anschlugen.
Gleich zwei Mal begegnete ich am Donnerstag vor einer Woche in einem flüchtigen Moment dem Botschafter des Glücks, dem Schornsteinfeger, der mich gedanklich meine Glücksreserven randvoll auffüllen ließ, bevor er seinen eigentlichen Pflichten weiter folgte. Am Nachmittag wurde ich dann einen Moment lang sehr aufmerksam, als ich durch die offene Balkontür aus der Ferne den Gesang eines wohlbekannten Herrn vernahm, den ich schon lange nicht mehr gehört hatte und der mir nun Hawaii wieder näher brachte. So lauschte ich einen Moment lang dem wunderschönen Medley „What a wonderful world/Over the rainbow“, das IZ von sich gab und mit dem er sich und seine Ukulele über den Tod hinaus unsterblich gemacht hatte. Dann wurde es für mich Zeit einer Einladung des Don zu folgen, in dem ein sogenanntes Wohnzimmer-Konzert stattfinden würde. Dort angekommen traf ich wenig später dann zunächst auf eine mir bekannte Dame, die mich einst in Verbindung mit dem „Büro der Liebe“ brachte und die nun ganz Fledermaus-verliebt erschien. So erzählte sie mir einiges zu diesen Wesen, die sie und ihr geliebter Begleiter bei Bedarf in Obhut nehmen und für die in jedem Fall ihr Herz entflammt war. Dann gesellte sie sich wieder zu ihrer Gruppe während ich noch einen kleinen Plausch mit meiner Sitznachbarin über menschliche Entwicklungen führte. Schließlich begann das Konzert und in den nächsten Stunden konnten wir alle nacheinander zwei jungen Damen aus Großbritannien lauschen, von denen die eine ganz zarte Töne von sich gab und die andere ein gewaltiges Temperament in der Stimme hervorrief, das ungeahnte Energie freisetzte. Genauso unverhofft präsentierte sie dann nach einer kurzen Pause noch ihre Ukulele, die mich just zum Schmunzeln brachte und mir einen weiteren Hawaii-Moment verschaffte. Er rief in mir auch die Erinnerung an das „Ukulele Orchestra of Great Britain„ wieder wach, das mich dazu inspirierte eine seiner Aufführungen einige Tage später in der virtuellen Welt auf der „Bridge to Hawaii“-Seite zu veröffentlichen, da es den Spaß in bester Manier symbolisierte, den man nicht aus den Augen verlieren sollte. Außerdem weiß ich nun, wer im Zweifel für alles auf dieser Welt verantwortlich ist: Shaft.
In den zwei darauffolgenden Tagen, die sich unter anderem am Freitag mit strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel präsentierten, beschäftigte ich mich überwiegend mit Angelegenheiten rund um „Bridge to Hawaii“, um das Projekt Stück für Stück weiter nach vorne zu bringen und die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. „Beständigkeit“ ist wohl der passende Ausdruck für meine Aktivitäten diesbezüglich und so beschriftete ich neue Aloha-Postkarten, bemalte einige davon, hinterließ die ein oder andere an einem öffentlichen Ort und überreichte einige Exemplare einem Crew-Mitglied, der Dame mit dem psychologischen Gesprür, die ich auf dem wöchentlichen Bauernmarkt antraf. Mit meinen fotografisch, festgehaltenen Momenten befüllte ich schließlich noch die virtuelle Welt und unterstützte die kanadische Umwelt-Aktivistin Severn Cullis bei ihren Bemühungen ihr neuestes Video-Projekt zu verbreiten, das Kindern eine Stimme verleiht. Dies traf ihrerseits dann auf Beachtung und so freue ich mich über einen direkten, neuen Kontakt zu der inspirierenden Dame. Logo-Entwürfe beschäftigten mich am Samstagnachmittag, nachdem mich ein Überraschungsbesuch zweier Schwestern mit ihnen im französisch angehauchten Café zusammenführte. Ein schöner Austausch über dies und das, der auch inspirierende Gedanken zu neuen, hilfreichen Verbindungen im Hinblick auf „Bridge to Hawaii“ zu Tage rief.
Am Sonntag stellte ich dann fest, dass ich das monatliche Treffen mit dem Weihnachtsmann im Museum völlig aus den Augen verloren hatte. Da sich die Zeit jedoch nicht zurückdrehen lässt, blickte ich bald wieder nach vorne und widmete mich im Covent Garden ausgiebig einigen Liebesbriefen für meine zahlreichen Brieffreundinnen und einer Dame im fernen Sarajevo, die ich das letzte Mal im Februar sah. Bis in die frühen Abendstunden verweilte ich an diesem gastlichen Ort, freute mich noch über einen kurzen Plausch mit dem jungen Mann von der britischen Insel und machte mich schließlich auf den Heimweg. Am nächsten Tag übergab ich das Geschriebene an den Herrn von der Postannahme, den ich noch zum Lächeln brachte und so sein Wehmut über den nicht freien Tag für den Moment verschwand, bis ich mich um Vorbereitungen anderer Art kümmerte. Neben kurzen, netten Begegnungen mit der neuen Erdenbürgerin Ella und ihrer Elternschaft, dem jungen Mann im Piratencafé, der mich freudig bediente und der doppelnamigen Dame, die wieder ohne Schwester unterwegs war, gehörte dann der Dienstagnachmittag vollständig meiner Geburtstagsüberraschung für die Dame, die mir das Leben schenkte und in die viel Liebe zum Detail floss.
Begleitet von traumhaften Wetter und durchaus milden Temperaturen schwang ich mich dann am Mittwoch auf meinen Drahtesel, um auf die andere Flussseite zu gelangen. Mit besten Aussichten auf Flussauen, die linksrheinische Hafengegend mit verliebten Paar und auf die über 800 Jahre alte Basilica minor vor himmelsblauer Kulisse, erreichte ich schließlich mein vorläufiges Ziel, an dem die Hauptperson des Tages schon auf mich wartete. Mit freudigen Geburtstagswünschen umarmten sich Mutter und Tochter und schenkten sich gegenseitige Aufmerksamkeit in der angrenzenden Lokalität. Einige Zeit später und nach einer ausgedehnten Fahrt durch einen Park aus Jugenderinnerungen und früherer Großmutter-Zuhause-Gegend, fanden dann bei der Mama daheim noch Bruder, Enkel, Sohn und Freundin zum Stelldichein zusammen, um den Ehrentag zu begehen. Und so schließt sich mein Kreis dieser Woche wieder einmal mit der Erkenntnis, dass nur der Moment der Gegenwart wirklich zählt und fast alles umkehrbar ist. Mit einem Aloha, auch in Erinnerung an meine Begegnung mit dem jungen Mann mit polynesischen Wurzeln gestern Nachmittag, verabschiede ich mich für heute von Dir.
In Liebe,
Alice
PS. Über einen Kontakt in der virtuellen Welt wurde ich in dieser Woche noch auf folgendes aufmerksam, dass ich Dir zu guter Letzt zukommen lasse.
„Don´t think about what can happen in a month. Don´t think about what can happen in a year. Just focus on the 24 hours in front of you and do what you can to get closer to where you want to be.“